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Ein Spaziergang durch den Aufstand

Ein (philosophisches) Hörspiel

Ambulator nascitur, non fit. - Ein Spaziergänger kann man nicht werden, man ist es durch Geburt.

Das rund 60-minütige Hörspiel ist ein Gedankengang; eine Verbindung aus Philosophie und Spazieren. Es thematisiert die Untrennbarkeit physischer und psychischer Bewegung im Hinblick auf den sozialen Aufstand. Das Stück vollführt exemplarisch eine solche Bewegung, wobei Zitate und Fiktion ineinander überfließen und die Geschichte des aufgestandenen Sokrates erzählen. Das Hörspiel ist für mich dabei das vortreffliche Medium, eine Was-wäre-wenn-Geschichte zu erzählen. Welche Gespräche und Ereignisse würden sich wohl begeben, träfe Sokrates direkt auf bedeutende Aufständische der Geschichte, auf andere Philosophen, Literaten und Widerstandskämpfer?

Alles beginnt in Platons Höhle: Sokrates werden die Ketten gelöst, er wird erhoben und unter Schmerzen ans Licht geführt. Der somit erste vollführte Auf-Stand markiert zugleich die Prämisse jeglicher Aufstände und Revolten: Um etwas zu bewegen, muss man sich selbst in Bewegung setzen! Also zieht Sokrates los, verlässt die Höhle und findet sich auf dem Marktplatz, der altgriechischen Agora, wieder. Hier trifft er auf Albert Camus, der ihm das Wesen der Revolte versucht verständlich zu machen. Anhand der beiden Redner Stokely Carmichael und Malcolm X veranschaulicht er seine Thesen. Doch es kommt unerwartet zum Aufruhr, sodass Sokrates fliehen muss und sich in Heiner Müllers Fahrstuhl in Sicherheit bringt. „Der Aufstand beginnt als Spaziergang“, resümiert dieser. Sokrates, den die Frage umtreibt, wer ihm die Ketten löste, wird von Müller an Sophie Scholl verwiesen. Doch auch sie kann ihm nicht weiterhelfen. Schließlich kommt der Fahrstuhl im Dschungel zum Stehen. Die ungewohnte Bewegung macht Sokrates hungrig, wobei er versehentlich einen Pilzrausch herbeiführt. Der Geist Rosa Luxemburgs erscheint ihm. Sie beschwört ihn standhaft zu bleiben und seine Bewegung fortzusetzen. So kommt es, dass er an einen Sumpf gelangt und auf den exzentrischen Henry David Thoreau trifft. Nachdem dieser ihm in seiner Waldenhütte am See ein Nachtquartier bereitet, philosophieren die beiden am nächsten Morgen, den Waldensee umrundend, über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Wieder kommt es zu einem Gewaltausbruch, sodass es Sokrates ins Gebirge treibt. Auf einer Lichtung trifft er auf den pausierenden Reinhold Messner, der ihn in die Kunst, den inneren Widerstand zu brechen, einführt. Da es bereits dämmert, ist Sokrates gezwungen erneut in einer Höhle Unterschlupf zu suchen, was Erinnerungen an sein altes Höhlendasein hervorruft. Friedrich Nietzsche und sein Schatten wecken den noch schlaftrunkenen Sokrates und mahnen ihn zur Eile. Man müsse vor Sonnenaufgang den Gipfel erreichen. Hier endlich, am höchsten Punkt seiner Reise, wird sich Sokrates seines Auf-Stands gewahr. Er erfährt, wer ihm die Ketten löste. Doch sein nun erlangtes Wissen ist mit einer Aufgabe verbunden, die erst den Anfang seines Schicksals markiert…


Der Aufstand, der Widerstand und die Revolte sind bereits Resultat einer ersten konkret physischen Bewegung, einer Empörung oder eines Aufschreis. So mannigfach die Überlegungen und Ausformungen des Auf- und Widerstands der im Hörspiel auftretenden historischen Figuren auch sind, sie alle eint der Wille nach Veränderung, der Wille zum Leben, der Wille zur Macht. Keine Revolution beginnt als Marsch der Tausenden, sondern als ein Aufstehen Einzelner, ein Sich-Erheben und In-Bewegung-setzen, sei es nun geistig oder körperlich. Dass der Aufstand mit Schmerzen verbunden ist, bezeugen am Ende nicht nur die Blasen an Sokrates’ Füßen. Viele Widerstandskämpfer haben mit ihrer Freiheit oder gar ihrem Leben bezahlt. Für einen noch ungreifbaren, in der Zukunft liegenden Wert, gaben sie im Hier und Jetzt ihr Leben. Sokrates’ Suche nach dem Löser seiner Ketten ist dabei das antreibende Moment: Die Suche nach der Kraft, die nötig ist, den Menschen in Bewegung zu setzen. Diese Kraft ist, um mit Camus zu sprechen, gerichtet – gegen ein Unrecht und für ein (neues) Recht!

Länge: 63'25

Sprecher: Stefan Feddersen-Clausen als Platon Martin Brandt als Sokrates Frank Alexander Engel als Albert Camus Alexander Abramyan als Heiner Müller Nicole Fischer als Sophie Scholl Esther Agricola als Rosa Luxemburg Étienne Roeder als Henry David Thoreau Paul Matzke als Reinhold Messner Mathias Becker als Friedrich Nietzsche und Juno Meinecke als Nietzsches Schatten

Originaltöne aus: Stokely Carmichael: Black Power Speech at University of California, Berkley, 29.10.1966.

Malcolm X: The Ballot or the Bullet. Speech at King Solomon Baptist Church, Detroit, Michigan, 12.04.1964.

Malcolm X: Malcolm X: Make it Plain. Dokumentation. American Experience, PBS. Regie: Orlando Bagwell, 1994.


M.A. Arbeit im Studiengang Europäische Medienwissenschaft an der Universität Potsdam und der Fachhochschule Potsdam © 2014

Ein Projekt von

Fachgruppe

Europäische Medienwissenschaften

Art des Projekts

Masterarbeit

Betreuung

foto: SV foto: MM

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2014